Vier Bilder für Spiegel Buch GmbH

 

Soviel Ende war noch nie. Die Geschichte ist am Ende und die Kunst, in der sich die gesellschaftliche Wirklichkeit abbildet,  ist längst dort angekommen, wo jeglicher Sinn sich verflüchtigt hat. Nichtssagend, gehaltlos, lediglich die eigenen leeren Formen feiernd, gehört sie längst zur bunten Warenwelt.

So zumindest lautet das Diktum der postmodernen Kritiker, das wir bei der Betrachtung Axel Brandts Bilder ausblenden. Vielleicht herrscht dann für einen Augenblick Ruhe, vielleicht finden wir dann den Mut unsere Augen neu zu öffnen, vielleicht können wir dann die Dinge neu und anders sehen, vielleicht können wir einen Blick auf den Dingen ruhen lassen, ja wirklich ruhen lassen, damit sich ein Dialog zwischen Objekt und Betrachter entfaltet im Sinne der alten Kontemplation, in der die Dinge mit der Seele zu sprechen beginnen und Geschichten erzählen.

 

Drei der vier Bilder, die Axel Brandt in einer Produktionshalle der Firma Spiegel Buch GmbH zeigt, thematisieren für mich klare existentielle Notsituationen. Darüber möchte ich in diesem Text in der gebotenen Kürze sprechen.

Das Titanicbild zeigt eine gesichtslose, gestikulierende Figurengruppe, die den sicheren Tod vor Augen hat. Die Menschen wirken eigentlich isoliert, nehmen in der Not keinen Bezug aufeinander. Erst auf den zweiten Blick offenbarte sich mir eine Eigentümlichkeit, die das Bild - die Figurengruppe - als unstimmig erscheinen läßt. Die Standposition der Figurengruppe stimmt nicht überein mit der Schräglage des sinkenden Schiffskörpers. Die Körper ignorieren in ihrer Not die nahende Katastrophe. Den Gesetzen der Schwerkraft trotzend, hält sich die Gruppe parallel zum Schiffskörper. Ich glaube, daß in dieser Eigentümlichkeit das Punktum zu sehen ist, aus der das Bild seine Geschichte erzählt. Der Bildtitel verweist auf die erste spektakuläre Technikkatastrophe unseres Jahrhunderts. Das Schiff galt als absolut unsinkbar. In der Titanic materialisierte sich der Mythos der unbegrenzten Naturbeherrschung. Um so größer war der Schock, den die damalige Weltöffentlichkeit erfahren mußte, als die Nachricht von der Katastrophe die Schlagzeilen der Presse füllte. Eben diesen Sachverhalt bringt die "falsch" platzierte Figurengruppe deutlich zum Ausdruck. Der Mythos der uneingeschränkten Naturbeherrschung, der unaufhörliche Zwang die Natur zu brechen, ist den Menschen derart zur zweiten Natur geworden, daß selbst in der Katastrophe die Körper sich weigern, das unvermeidliche und unabwendbare anzuerkennen. Das Sterben wird in dieser Szene zu einer Farce, findet im Absurden statt. Das unfassbare Geschehen, welches die Figurengruppe bestimmt, macht sie unfähig zur Rettung bringenden Interaktion. Der Mensch erscheint lediglich als machtloses, Anhängsel einer untergehenden gewaltigen Maschinerie, die der Schiffskörper symbolisiert.

   Das Bild  "Schiff" thematisiert ebenfalls eine Notsituation auf See. Die rote Rettungsinsel ist bereits ausgeworfen und hat einen Menschen der Besatzung aufgenommen. Eine zweite gesichtslose Figur ist offenbar im Begriff ebenfalls zur Rettungsinsel überzuwechseln. Der untere Bildraum, in dem man eine peitschende See erkennen kann, läßt erahnen, daß scheinbar eine bedrohliche Situation für die Besatzung gegeben ist. Jedoch ist diese Bedrohungssituation nicht im gesamten Bildraum wiederzufinden. Der Himmel wirkt freundlich und die glatten Segel vermitteln eher eine statische Ruhe, die alles andere als eine Katastrophe erahnen lassen. Auch in dieser Konstellation findet sich ein eigentümliches Punktum, bzw. eine auffällige Unstimmigkeit, die bereits im Titanicbild zu finden war. Die Widersprüche, die das Bild enthält lassen sich nicht auflösen.

Im Gondelbild, das zwei Seilbahnen ohne Seile zeigt ist offen, ob die Skifahrer auf waghalsige Weise den Hang hinunterfahren, oder aus den fliegenden Gondeln stürzen. Die einzigen Fixpunkte sind Gipfelkreuze, die in ihrer plakativ gemalten Art eher ironische Kommentatoren, als Zeichen der Hoffnung sind.

Ich muß meine Fantasie bemühen, nach möglichen Erklärungen suchen und blicke gefesselt auf Bilder, die sich einer eindeutigen Interpretation verweigern. Sie erzählen unterschiedliche Geschichten, thematisieren aber, wenn auch auf unterschiedliche Weise, Notsituationen, die durch ungebrochene Naturgewalten hervorgerufen werden. Die widerspruchsvolle Gestaltung des Bildraumes beschert dem Betrachter eine blitzartige Irritation, die den Raum öffnet für eine Betrachtung, die deutlich über das bloße abgebildete Material hinausgeht. Insbesondere das Titanicbild vermag es Assoziation freizusetzen, die der Katastrophe ein Moment zukommen lassen, was den einstmals Betroffenen vielleicht im Augenblick des Todes gegenwärtig war. Die Konstellation: Mensch-Maschinen-Kombination und ungebändigte Natur versinnbildlichen das Scheitern des modernen Menschen in einer paradigmatischen Katastrophensituation, die sich bis in unsere Tage endlos wiederholt.

 

 

                                     Michael Kiefer, Oktober 1995